Getriebeschaden in Peru
Zuerst einige Worte zum Schaden
Renate denkt, dieser sei verursacht durch unseren längeren Wasseraufenthalt in Brasilien. Ich denke eher an normale Abnützung, immerhin hat das Getriebe schon 450’000 km gelaufen. Und die Lomos, die hier überall verbaut sind, haben vermutlich auch ihren Teil dazu beigetragen. Das Getriebe muss hier wirklich Schwerstarbeit verrichten. Manchmal zählen wir bis zu 70 Schwellen pro Stunde, und dies nicht nur im Flachen, sondern auch, wenn es steil bergauf oder ab geht. Für das Getriebe wirklich Schwerstarbeit, also für mich normale Abnützung. Zumal, wenn es ein Wasserschaden wäre, müsste das Getriebe innen auch betroffen sein. Aber das ist sauber wie ein frisch gewaschener Kinderpopo.
Noch kurz ein Wort zur Auswahl unserer Werkstatt des Vertrauens. Eingeklemmt zwischen einer Gomeria (Reifenwerkstatt), einem Mechaniker, der Anhänger repariert, und der Hauptstraße, deren Überqueren jeweils lebensgefährlich ist. Manchmal warte ich über 5 Minuten, um auf die andere Seite zu kommen – so viel Verkehr ist da. Und dies den ganzen Tag, nachts etwa halb so viel. Einfach irre.
Aber zurück zu Bladimir (ist kein Schreibfehler) und seiner Werkstatt. Zusammen mit einem Gehilfen Jefferson repariert er Lastwagen oder macht den Service. Werden Öl und Ölfilter gewechselt, wird es richtig gruselig. Der Eimer fasst 15 l Öl, der Lastwagen hat 20. Kein Problem, die 5 Liter laufen einfach über und bleiben da liegen. Stört hier niemanden. Der Ölfilter fasst ja auch einiges, der wird auch einfach zum Abtropfen auf den Boden gestellt. Das ist übrigens einfach gestampfte Erde. Da es die letzten 2 Nächte etwas geregnet hat, könnt ihr euch die Suppe gut vorstellen. Aber mit etwas Toleranz……..
Nun, so oder so wäre ein Aufenthalt in einer Werkstatt vorprogrammiert gewesen. Nach der Demontage war die Kupplung und das Ausrücklager in einem desolaten Zustand und hätte vermutlich in nächster Zeit versagt. Da hat das Wasser aus Porto Alegre ganze Arbeit geleistet. Die Kupplungsscheibe, vor allem die Federn, sind total verrostet und haben kaum noch Spannung. Druckplatte und Schwungrad waren stark korrodiert, die konnte ich aber mit einigem Aufwand wieder herrichten. Eine Kupplungsscheibe hatten wir als Reserve mit an Bord. Auch das Ausrücklager war total verrostet und machte beim Drehen einen Lärm, vermutlich ein angerostetes Lager. Auch dieses Teil hatten wir dabei.
Da ZF ein übliches Getriebe ist, dürfte die Beschaffung vom Hauptlager kein Problem sein. Dachten wir!
Bladimir nimmt die Hauptwelle auseinander, erstes Problem: Das Lager hat keine Nummer. Zwar hat MAN eine Ersatzteilnummer, aber diese ist nur für MAN gedacht. Ohne Originalnummer auf dem Lager wird es schwer, das richtige Lager zu finden. Wir suchen hier im Ort, in Lima, in Ecuador, in Paraguay und natürlich in Europa. Renate, Bladimir, Marco und ich sind wie wild am Suchen – erfolglos, das Lager ist unauffindbar.
Nach etlichen Stunden, ich bin mit Bladimir wegen einem anderen Ersatzteil am Diskutieren, sehe ich, dass das gar nicht das richtige Lager ist. Wir haben es über die Zeichnung von ZF, die Nummer ist auf meinem Getriebe angegeben, gesucht. Also nochmals alles von vorne. Die richtigen Zeichnungen von ZF mit den Teilen sind gar nicht so einfach zu finden, was ich als eher komisch empfinde.
Nach erneuter Suche bekommen wir eine Meldung von Lima: Das Lager mit der neuen Nummer ist am Lager und wird zugestellt. Dauert 2 Tage. Vorsichtshalber geben wir nochmals alle Angaben des benötigten Lagers durch, was von Lima bestätigt wird. Zwei Tage später kommt das Paket an. Drei Lager haben wir bestellt, zwei sind richtig, das Hauptwellenlager könnte von einem Dinosaurier sein. Zu groß, zu dick und vor allem zu falsch. Wie haben die wohl in Lima gemessen? Die Angaben hatten sie ja.
Alles auf Anfang und neue Suche starten. Nach Stunden haben wir eine Antwort von MAN aus der Schweiz. Dieses Lager wird schon lange nicht mehr hergestellt und wurde durch eine andere Lösung ersetzt. Sie haben die Möglichkeit, ein neues Getriebe zu kaufen oder eine neue Hauptwelle – was aber nicht so einfach sein wird, da wir nicht wissen, was in dem Getriebe verbaut wurde. Wir schlagen daher vor, dass sie dieses Problem mit ZF direkt besprechen und beheben.
Jetzt ist auch klar, wieso wir nirgendwo ein passendes Lager finden. Ich war ja im vorherigen Leben auch etwas mit Maschinen beschäftigt, zwar kein Mechaniker, aber immer für spannende Lösungen gut. Also, wenn das Lager nicht passt, machen wir halt das Getriebe passend zum Lager.
Ich finde zwei machbare Lösungen. Dazu muss aber ein Dreher her. Das Lager stimmt nicht, ist zu breit, zu groß im Durchmesser, zu klein im Innendurchmesser und hat keine Nut. Aber sonst würde es passen!
Der Dreher muss also das Lager um 0,5 mm je Seite abdrehen, eine Nut machen und das Getriebegehäuse und das Gegenstück um je 2 mm ausdrehen. Der Mechaniker schaut sich alles an und wie hier üblich: „no problemas“.
Lösung Nummer 2: Wir haben ein Lager, da passt alles bis auf den Innendurchmesser, aber da können wir die Welle abdrehen – also eher einfacher als Lösung Nummer eins. Ich stimme für Lösung 2 und das Lager wird bestellt. Dauert wieder 2 Tage und dürfte am Montag hier sein. Die Stimmung ist jetzt deutlich besser.
Kurz noch ein Wort zum Dreher: Der sollte, wenn immer möglich, Präzisionsarbeit leisten. Zu viel an der Welle oder dem Getriebegehäuse abdrehen wäre fatal, quasi ein Totalschaden. Beim Besprechen des Problems fallen dem Dreher immer die oberen Zähne raus, und er muss sie jeweils wieder von Hand reinschieben.
„Hast du wirklich Vertrauen zu diesem Mann?“ fragt mich Renate.
„Ja, kein Problem“, er kam mit Zirkel, Schublehre, Maßband und Schreibblock mit Kugelschreiber. Er nimmt seinen Job also ernst.
Wieder verlange ich von Bladimir, dass er alle Daten nochmals sendet und als Bestätigung, dass alles passt, bitte Bilder per WhatsApp. Die Bilder kommen nach ca. 3 Stunden. Alles passt, bis auf ein kleines, aber entscheidendes Detail: Es ist kein Kugellager, sondern ein Rollenlager.
„Ist egal“, meint Bladimir, „diese Lager sind in anderen ZF eingebaut, passt.“
Da bin ich mir aber gar nicht sicher und frage mal bei meinem Mechaniker des Vertrauens nach.
„ChatGPT, was meinst du zum Lagerwechsel?“
„Ja, kannst du machen, wird vermutlich ca. 100 km halten!“
„Was? Wie jetzt?“
„Ist es ein N, ein NJ oder NUP-Lager?“ Also alles auf Spanisch übersetzen und weiterleiten an Bladimir. Der fragt nach, sie wissen es nicht. Was uns auch nicht wirklich weiterhilft.
Ich sende meinem Mechaniker ein Bild von meinem offenen Getriebe (ChatGPT) und frage nochmals nach, wie er die Lage beurteilt.
„Ja, so wie das Getriebe gebaut ist, sollte es gehen – mit Betonung auf sollte –, wenn folgende Punkte eingehalten werden: Es muss zwingend ein NUP-Lager sein, die Toleranzen müssen ganz genau eingehalten werden, sonst ist ein Verschleiß in kurzer Zeit gegeben. Alles klar, das mit den Toleranzen kriegen wir hin, mit dem ganzen Öl im Matsch sind wir sehr tolerant. Nur das verflixte NUP – da erhalten wir keine Antwort.“
Ich ziehe also die Reißleine. Bladimir hat aber das Lager schon bezahlt und wird leicht blass. Jetzt ist es an mir, einmal den Spruch „no problemas“ auszusprechen – das Lager geht auf Spesen.
Innert einer Stunde hat Bladimir das Lager Nummer eins organisiert. Dieses gibt es hier im Ort, kommt aus Japan, und ich suche im Internet, ob dies was taugt. Der Hersteller ist für seine Qualität bekannt, und Lager von diesem Hersteller werden auch in der Raumfahrt, in Zügen (diese fahren ja verdammt schnell in Japan) und im Automobilbau verwendet. Also sollte es für uns auch passend sein. Bladimir und der Dreher werden jetzt eine Nachtschicht einlegen und alles passend machen. Aus Solidarität – ich würde wohl nur stören in der Werkstatt – schreibe ich inzwischen diese Zeilen.
Morgen werden wir sehen, ob alles passt oder wir ein neues Getriebe kaufen müssen. Es bleibt also spannend.
Anderntags:
Inzwischen ist es 13 Uhr und ich habe ein Bild erhalten mit dem neuen Lager in der Getriebebox. Das hat schon einmal geklappt. Die angekündigte Nachtschicht wurde vermutlich eher in der Disco eingelegt, sonst wären die Teile schon lange hier. Erwartet hatte ich alles schon heute Morgen, aber es dürfte wohl eher späterer Nachmittag werden. Nach Bladimir sollten wir das Getriebe heute noch zusammenstellen können (der gute Mann hat noch Hoffnung) und spätestens morgen, also Samstag, mit dem Zusammenbau beginnen. Also bleibt dran.
Um 18 Uhr bekommen wir die Teile und beginnen sogleich mit der Montage. Trotz seiner losen Zähne hat der Dreher super Arbeit geleistet. Das Lager um 0,5 mm je Seite abdrehen war gar nicht so einfach. Alles passt und wir arbeiten bis 22 Uhr. Morgen, Samstag, wird Öl eingefüllt, das Getriebe noch außerhalb vom MAN durchgeschaltet und, wenn alles gut funktioniert, danach montiert.
Vor der Montage habe ich etwas Bammel. Das Getriebe ist sicher um die 100 kg oder mehr und muss von unten eingebaut werden. Da wir hier weder über einen Lift verfügen, um den LKW zu heben, noch über geeignetes Material, um das Getriebe sicher vom Boden hochzuheben, wird dies eine sehr heikle Angelegenheit. Mit einem Autowagenheber heben wir das Getriebe an und binden es mit einem Gurt am Chassis fest. Danach Wagenheber runter, Holz unterlegen und Wagenheber wieder hoch, Gurt nachziehen und alles nochmals. Drei Mal brauchen wir, um das Getriebe auf die richtige Höhe zu bekommen.
Jetzt muss es noch in die Kupplung eingeführt werden. Da dies dabei um ca. 2 mm Platz geht, wo dieses Teil zwischen Chassis und Kupplung eingeführt werden muss, dauert dies seine Zeit. Irgendwo klemmt es immer. Entweder wir sind zu schräg, zu tief, zu hoch oder sonst daneben. Ganze 2 Stunden sind wir am Malochen, bevor das endlich reinrutscht. Die Erleichterung ist groß – wer das schon einmal gemacht hat, auf dem Rücken liegend unter dem Wagen und die 100 kg über sich …
Der Rest ist Routine. Eine Stunde später starte ich den Motor und versuche die ersten Schaltversuche. Alles super. Also starten wir zur Probefahrt. Einfach schön, so ein funktionierendes Getriebe.
Übrigens hat sich inzwischen herausgestellt, dass Bladimir in Wirklichkeit Vladimir heißt. Bei seinem Telefonanbieter wurde er aber falsch in seinem Vertrag eingeschrieben. Er kann dies aber nicht ändern, ohne den Vertrag zu kündigen. Seither nennt er sich eben Bladimir.
Noch ein Dankeschön🙏 an alle, die uns diese Tage unterstützt haben. Wer schon einmal in einer anscheinend aussichtslosen Situation gesteckt hat, kann verstehen, dass einige aufmunternde Worte oft viel bewirken können.